Der Kamerafokus
Kamerafokussysteme zu kennen zahlt sich nicht nur beim Kauf einer neuen Fotokamera, sondern vor allem bei deren Anwendung aus. Alle Methoden haben Vor- und Nachteile, die man verstehen sollte, um bestmögliche Fotos zu erzielen.
Während das menschliche Auge zum Fokussieren auf ein bestimmtes Objekt nur einen Wimpernschlag braucht, stellt dies für ein Gerät einen relativ komplizierten Prozess dar. Wie arbeiten dabei verschiedene Kameras? Was passiert in der Kamera, wenn wir auf ein Objekt fokussieren? Je nach verwendetem System passieren einige Schritte, auf die wir näher eingehen und die Vor- und Nachteile der einzelnen Methoden vergleichen werden.
Kantenkontrastmessung
Die einfachste Lösungsmethode, bei der lediglich ein Bildausschnitt am Hauptsensor beobachtet und danach sehr geradlinig vorgegangen wird, ist das Kontrastmessungssystem. Sein Prinzip besteht darin, dass ganz leicht der Objektivfokus geändert wird(z.B. Richtung unendlich). Wertet das System die Situation so aus, dass das Bild unscharf geworden ist, stoppt es sofort und versucht in die andere Richtung zu schärfen. Wird das Bild im Gegenteil schärfer, wird die Bewegung solange fortgesetzt, solange das Bild schärfer wird. Die richtige Fokusstelle erkennt das System erst, wenn es über sie hinweg fährt und das Bild wieder unscharf wird. Daraufhin geht es wieder dorthin zurück, wo das Bild am besten/schärfsten war.
Das Ausmaß der Bildunschärfe wird anhand von Kontrastmessungsalgorithmen bestimmt, daher auch der Name der Methode. Da dieses System für seine Funktionsfähigkeit keine komplizierte Hardware benötigt, kann es praktisch überall verwendet werden, weshalb man es etwa in Kompaktkameras, Handy- oder Webkameras findet.
Obwohl die Algorithmen laufend verbessert werden, besteht der größte Nachteil dieser Systeme in der langsamen Linsenbewegung, durch die ständig ausgewertet werden muss, was das Gerät sieht. Auch die Tatsache, dass für die Scharfstellung die richtige Stelle zunächst passiert werden muss und erst danach zurückgestellt wird, verlangsamt den gesamten Prozess.
Phasenvergleich
Ein gänzlich anderes System wird bei Spiegelreflexkameras verwendet, die dafür jedoch einen eigenen Fokussierungschip benötigen. Auf dem Bild unten sieht man diesen Chip auf der Unterseite des Kamerakorpus. Das Licht wird mit einem zweiten Spiegel direkt hinter dem Hauptspiegel (der zum Teil durchlässig ist) auf den Chip gerichtet.
Vereinfacht kann man sich die Situation so vorstellen, dass man aufgrund dieses Sensors eine bestimmte Stelle getrennt durch sowohl den linken als auch rechten Objektivteil betrachten und somit die Unterschiede der beiden Bilder auswerten kann.
In der Praxis werden nicht ganze Bilder, sondern nur 1-Pixel-breite Streifen verglichen. Aufgrund der Unterschiede zwischen dem Licht von links und rechts (Phasenverschiebung) weiß die Kamera sofort, in welche Richtung und wie weit das Objektiv verstellt werden muss. Es wird also direkt die richtige Fokusstelle gewählt, was diese Fokusmethode sehr schnell und genau macht.
Im Gegensatz zur Kontrastmessungsmethode kann man mit diesem System auch ganz leicht bewegliche Objekte verfolgen. Da die Mechanismen mit beweglichen Linsen nicht immer 100-prozentig genau sind, wird in der Praxis nach dem „Sprung“ zur angenommenen Fokusstelle noch einmal genau abgelesen. Wird noch eine Ungenauigkeit festgestellt, führt man einen zweiten Korrekturschritt durch (bzw. oftmals werden auch während der Linsenbewegung die Phasenverschiebungen ausgewertet und umgerechnet, wie weit sich die Linsen noch bewegen müssen).
Für das Fokussieren ist ausschlaggebend, dass sich im Bild Kanten im rechten Winkel zum Ermittlungsstreifen (oben rot markiert) befinden. Möchte man im obigen Beispiel etwa auf eine Stelle mit nur horizontalen Kanten (z.B. Rollos) fokussieren, hätte die Kamera keine Chance. Deshalb wird noch ein zweiter, senkrechter Streifen hinzugefügt, wodurch ein Kreuzsensor entsteht. Bei manchen besseren Spiegelreflexkameras werden die Sensoren auch noch um zwei überkreuzte, um 45° gedrehte Streifen zur Erkennung von schrägen Kanten verbessert.
Als Nachteil dieser Methode ist die Notwendigkeit des separaten Chips zu werten. Außerdem sind bei diesen Chips die Fokussierungspunkte fix bestimmt, weshalb bei einfacheren Spiegelreflexkameras aus Preisgründen das System vereinfacht wird. Bei teureren Modellen erhöht sich die Anzahl und Genauigkeit der Punkte.
Auf dem Bild unten sieht man die Fokussierungspunkte eines Canon 1D X. Das erste Bild zeigt den Sucher mit 61 Punkten. Das zweite Bild zeigt einen Überblick der Ermittlungsstreifen, die zu den einzelnen Punkten gehören. Das letzte Bild ist ein Foto des AF Sensors.
Bei der Aufnahme von Videos bzw. generell bei angeklapptem Spiegel ist die Scharfstellung mit diesem System allerdings nicht möglich, da das Außenlicht gar nicht zum Fokuschip gelangt. Die Kameras schalten in diesen Fällen auf die viel langsamere Ersatzkontrasterkennungsmethode um.
Hybridsysteme
Bei vielen Kameras wird eine Kombination aus beiden Methoden angewendet. Die Ermittlungsstreifen der Phasenmethode werden auf unterschiedliche Weise am Hauptsensor angebracht, wo sie einige Farbpixel ersetzt haben. Da diese normalerweise in millionenfacher Anzahl vorhanden sind, stört ein Verlust von einigen Hundert Pixeln kaum und das fehlende Bild wird aus der Umgebung berechnet. Dieses System findet man vor allem bei spiegellosen Systemkameras (fortgeschrittene Kameras mit austauschbaren Objektiven, aber ohne Spiegel) und auch etwa im Samsung Galaxy S5 und iPhone 6.
Auch wenn es noch nicht die Geschwindigkeit der Phasenvergleichsmethode erreicht hat, wird dieses System immer besser. Ein großer Vorteil ist natürlich die Möglichkeit bei Videoaufnahmen fokussieren zu können. Das Fehlen des Spiegels erlaubt schnellere und einfachere Vorgänge und stellt eine kleinere Schadensquelle dar.
Noch radikaler war Canon beim Modell 70D, bei dem jedes Pixel am Hauptsensor eine rechte und linke Hälfte hat, wodurch man auf jede beliebige Bildstelle phasenmäßig schärfen kann. Da das Modell aber eine Spiegelreflexkamera mit eigenem AF Sensor ist, werden diese geteilten Pixel nur bei Videoaufnahmen und Live View genutzt. Ich persönlich sehe aber in dieser Technologie noch sehr viel Potenzial.
Eine etwas andere, experimentierfreudige Lösung wählte von ein paar Jahren Sony, das eine Spiegelreflexkamera mit fest fixierten Spiegeln auf den Markt gebracht hat. Das bereits erwähnte, klassische Problem der Spiegelreflexkameras, wonach das Fokussieren bei angeklapptem Spiegel (Video, Live View) nicht funktioniert, wird dadurch behoben. Um gelichzeitig fotografieren und in den Sucher schauen zu können sind die Sony Spiegel aber halblichtdurchlässig. Dieses System wird Single-Lens Translucent (SLT) genannt und hat den Nachteil, dass man dabei 30% des Lichts einbüßt und mit stärkerem Rauschen zu kämpfen hat.
Fokussierungsalgorithmen sind nicht alles
In den nächsten Artikeln werden wir uns anschauen, welche Antriebe Objektive zum Fokussieren überhaupt verwenden und wie man das Beste aus Autofokus herausholen kann.
Hans Niedermeier
Das ist sehr interessant. Endlich verstehe ich besser, warum was funktioniert oder nicht.
Enno Taut
Diese „Wissenschaft“ muss ich mir in Ruhe ansehen, um alles verstehen und ausprobieren zu können. Danke
Irena Steinerova
Hallo Herr Taut,
wir werden uns freuen, wenn Sie uns dann mitteilen, wie es gelaufen ist!
Viel Erfolg, Irena Steinerova.