Wenn ein Foto misslingt, geben Sie es als Kunst aus: Warum diese Behauptung naiv ist

In der Welt der Kunst, insbesondere in der Fotografie, hört man oft ironische Bemerkungen wie „Wenn es dir nicht gelingt, gib es als Kunst heraus“. Dieser Spruch mag vielleicht amüsant sein, aber wenn er ernst gemeint ist, offenbart er gleichzeitig ein Unverständnis für das Wesen des künstlerischen Schaffens. Warum kann man nicht einfach „Künstler spielen“? Und warum reicht Zufall nicht aus?

Dass Sie hier und da auf ein scheinbar unvollkommenes Foto stoßen, bedeutet nicht unbedingt, dass es schlecht ist. Ebenso bedeutet ein schwarz-weißes Foto mit ausgeprägter Körnung nicht, dass es sich um ein künstlerisches Foto handelt.

Kunst ist kein Zufall

Manche Kunstfotografien können auf den ersten Blick wie zufällige Aufnahmen wirken, die auch ein absoluter Amateur hinbekommen würde. Die Realität sieht jedoch anders aus. Ein absoluter Laie kann einen solchen „Zufall“ in der Regel nicht wiederholen. Ein erfahrener Kunstfotograf hingegen schon – und zwar jederzeit. Das ist einer der entscheidenden Unterschiede.

Neben der technischen Beherrschung seines Handwerks unterscheidet sich der Kunstfotograf dadurch, dass er mit einer bestimmten Absicht fotografiert. Ob es sich dabei um einen erkennbaren Stil oder eine tiefere künstlerische Bedeutung handelt – auf dem Bild ist es zu erkennen. Diese Absicht spürt oft auch jemand, der sich sonst überhaupt nicht für Fotografie interessiert.

Wenn Fotos Geschichten erzählen

Als Beispiel kann man die Arbeit der jungen talentierten Fotografin Marie Tomanová nennen. Ihre unmittelbaren, authentischen Aufnahmen werden weltweit ausgestellt und haben in Fachkreisen Anerkennung gefunden. Dennoch habe ich Diskussionen in Amateurfotografie-Gruppen miterlebt, in denen Leute behaupteten, dass dies nur Müll sei und dass selbst ein kleines Kind solche Fotos machen könne. Mir fällt dazu nur eine Antwort ein: Versuchen Sie es doch mal!

Foto: Marie Tomanová

Versuchen Sie, ein wirklich schlechtes Foto zu machen

Wenn Sie glauben, dass Kunst nur Glückssache ist oder dass „jeder das kann“, stellen Sie sich eine einfache Aufgabe: Versuchen Sie einmal, absichtlich ein wirklich schlechtes Foto zu machen. Eines, das in jeder Hinsicht schlecht ist:

  • schlechte Komposition
  • schlechte Bildschärfe
  • schlechte Belichtung
  • ungeeignete Farben…

Sie werden feststellen, dass das gar nicht so einfach ist. Ein erfahrener Fotograf mit einer klaren Vorstellung nimmt Komposition, Licht und Farben oft unbewusst wahr. Er muss sich nicht an Regeln halten – er hat sie im Kopf. Ein Amateur hingegen folgt ihnen blind und legt oft größten Wert auf die technische Seite. Ein Künstler kann sich von diesen Regeln befreien.

In Schwarz-Weiß konvertieren und Körnung hinzufügen

Diesen „Ratschlag“ hat wohl jeder Fotograf schon einmal gehört, dessen Bild nicht gerade begeisterte Reaktionen hervorgerufen hat. Schwarz-Weiß-Fotografie verzeiht nämlich vieles. Das bedeutet jedoch nicht, dass jedes misslungene Bild in das Portfolio der Agentur Magnum oder 400 ASA gehört.

Schauen wir uns zum Beispiel die Werke von Antonín Kratochvíl an. Seine Bilder würden vielleicht einer strengen technischen Kritik auf einem gewöhnlichen Fotoportal nicht standhalten, doch sie haben etwas Besonderes – den X-Faktor, der sie in eine ganz andere Liga hebt. Und dort landet kein „misslungenes” Bild.

Foto: Antonín Kratochvíl

Der X-Faktor

Was ist der X-Faktor? Er lässt sich schwer in Worte fassen, aber wenn ein Foto ihn hat, erkennt ihn auch ein Laie, der sich überhaupt nicht für Fotografie interessiert. Dieser X-Faktor entsteht, wenn ein Foto mit Absicht, Vision und Emotionen aufgenommen wird. Zufällige, „künstlich erzwungene“ Aufnahmen haben ihn einfach nicht – und werden ihn auch nie haben.

Foto: Jan Mihalíček

Kunst ist keine Ausrede oder ein Etikett für Misserfolg. Nicht alles, was ungewöhnlich oder technisch unvollkommen aussieht, ist automatisch Kunst – und umgekehrt hat nicht alles, was technisch perfekt ist, einen echten künstlerischen Wert. Entscheidend sind die Absicht, die Aussagekraft und die Authentizität. Ein echter Künstler kann Regeln brechen, weil er sie zuvor beherrscht hat. Und das ist ein Unterschied, den man weder vortäuschen noch nachahmen kann.