Street Photography für Anfänger: Tipps, Einstellungen und Inspiration

Bei der Street Photography oder auch Straßenfotografie geht es um Mut, Achtsamkeit und die Fähigkeit, die Schönheit in gewöhnlichen Momenten zu sehen. Im Gegensatz zur Landschafts- oder Makrofotografie bietet die Stadt nicht nur Licht und Kompositionen, sondern auch den Kontakt zu Menschen, ihren Geschichten und ihren persönlichen Grenzen. In diesem Artikel lernen Sie, wie Sie Ihre Scheu überwinden, Menschen mit Respekt fotografieren, das Treiben in der Stadt zu Ihrem Vorteil nutzen und Bilder mit Seele aufnehmen können.
Street Photography beginnt nicht mit dem Drücken des Auslösers, sondern mit dem Beobachten. Bevor Sie überhaupt zur Kamera greifen, nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um Ihre „Ohren und Augen zu schärfen“. Versuchen Sie, eine Weile einfach nur still zu stehen – an einer belebten Kreuzung, in einer Unterführung, auf einem Platz. Beobachten Sie den Rhythmus – wie sich die Menschen bewegen, wo sie stehen bleiben, wie das Licht auf verschiedene Oberflächen fällt. Was spiegelt sich in den Schaufenstern? Wer steht, wer rennt, wer hat angehalten, um auf sein Handy zu schauen?
Beobachten Sie auffällige Menschen, aber merken Sie sich diese zunächst nur, fotografieren Sie sie noch nicht. Dass Sie zunächst nur beobachten, ist kein Fehler, sondern Teil des Prozesses. Wenn Sie sich unsichtbar fühlen, ist das in Ordnung. Und wenn Sie hingegen das Gefühl haben, dass Sie beobachtet werden, ist auch das eine wertvolle Erfahrung. Sie gewöhnen sich langsam an die Rolle des Fotografen im öffentlichen Raum. Und wenn etwas passiert? Notieren Sie sich einfach die Idee oder Situation, die Sie fasziniert hat. Das zu bemerken, ist der erste Schritt zu einem guten Foto.
Nutzen Sie Schüchternheit zu Ihrem Vorteil
Nicht jeder von uns hat die Fähigkeit, fremde Menschen auf der Straße anzusprechen. Und das muss man auch nicht gleich von Anfang an tun. Im Gegenteil, Ihre Zurückhaltung kann sogar von Vorteil sein. Sie lernen, andere Dinge als nur offensichtliche Situationen wahrzunehmen. Suchen Sie die Geschichte in den Details, in den Andeutungen.

Street ist kein Wettbewerb, bei dem es darum geht, wer sich am meisten traut. Es geht vielmehr darum, einen eigenen Weg zu finden, die Stadt wahrzunehmen. Anstelle eines direkten Porträts versuchen Sie doch einmal Folgendes:
- Reflexionen in Schaufenstern – vor allem, wenn Außen- und Innenbereich miteinander verschmelzen.
- Schatten an der Wand – von Menschen, Bäumen, Verkehrszeichen.
- Menschen hinter Glas – in der Straßenbahn, im Café, an der Haltestelle.
- Silhouetten gegen das Licht – ideal bei Sonnenuntergang oder in Unterführungen.
- Aufnahmen von hinten – Person mit Rucksack, Paar auf der Straße, Kind mit Seifenblasen.
- Teilausschnitte – nur Beine, Hände, auffällige Kleidung, Tasche auf Rollen.
- Schaufensterpuppen – oft überraschend aussagekräftig und manchmal auch beunruhigend.
Ein praktischer Tipp: Wenn Sie wegen der Reaktionen der Menschen nervös sind, halten Sie die Kamera auf Hüfthöhe und fotografieren Sie blind (sogenanntes Fotografieren aus der Hüfte), damit Sie weniger auffallen und natürliche Momente einfangen können.


Mein Lieblingsthema in der Stadt sind Schaufensterpuppen. Sie sagen mehr über Menschen aus, als man denkt. Außerdem taucht hier und da sogar ein echter Mensch im Spiegelbild auf.
Fotografieren mit Respekt
Wenn Sie sich entschließen, nicht nur Ereignisse, sondern auch Porträts zu fotografieren und jemanden direkt anzusprechen, tun Sie dies mit Respekt. Begegnen Sie den Menschen als Mensch, nicht als Fotograf, der ein Objekt fotografiert. Eine einfache Frage reicht völlig aus: „Darf ich Sie fotografieren?“ Sie brauchen weder eine Visitenkarte noch ein künstlerisches Statement, wichtiger sind der Ton, die Aufrichtigkeit und ein Lächeln.
Lassen Sie sich zum Beispiel von Brandon Stanton (Humans of New York) inspirieren, der zuerst mit den Menschen spricht – das Foto kommt erst danach. Ähnlich verhält es sich bei Mihaela Noroc (Atlas of Beauty), die Wert auf kurze Begegnungen und Zustimmung legt. Es geht um die Beziehung, auch wenn sie nur wenige Minuten dauert. Ich persönlich mag auch die Fotos von Vivian Maier, die nie jemanden gefragt hat.

Was hilft?
- Machen Sie langsam. Verlangen Sie nicht sofort ein Foto. Ein Satz, ein Seufzer, ein Witz – all das kann als Brücke dienen.
- Bieten Sie ein Foto an. Senden Sie es per E-Mail oder über soziale Netzwerke. Damit zeigen Sie den fotografierten Personen, dass Sie ihre Zeit schätzen.
- Berücksichtigen Sie den Kontext. Wenn jemand offensichtlich müde, gestresst oder in einer heiklen Situation ist, sollten Sie lieber keine Fotos machen.
Und haben Sie keine Angst vor Ablehnung – das ist nichts Persönliches. Je respektvoller Sie fotografieren, desto eher werden die Menschen das erkennen.
Praktische Einstellungen: Damit Ihnen die Technik nicht im Weg steht
In der Straßenfotografie muss man oft in Sekundenbruchteilen entscheiden. Stellen Sie Ihre Kamera so ein, dass Sie nicht darüber nachdenken müssen – aktivieren Sie den Silent-Modus, die Fokussierung auf den Mittelpunkt oder die Zonenfokussierung und wählen Sie ein Objektiv, das zu Ihnen passt: 35 mm ist für die meisten Situationen ausreichend.
Fotografieren Sie idealerweise im Blendenprioritätsmodus (A/Av), beispielsweise mit einem Wert von f/4 bis f/8, damit der Großteil der Szene scharf bleibt. Wenn Sie im manuellen Modus (M) oder im Zeitprioritätsmodus (S/Tv) fotografieren, halten Sie die Verschlusszeit mindestens bei 1/250 s, um Bewegungen einzufrieren, oder verlangsamen Sie sie ruhig auf 1/30 s, wenn Sie Streifen, Panning oder Bewegungsunschärfe einfangen möchten. Lassen Sie die ISO-Empfindlichkeit auf Automatik, aber legen Sie eine Obergrenze fest (z. B. 1600), damit Sie nicht von schlechten Lichtverhältnissen überrascht werden.

Und vor allem: Laden Sie vor dem Fotografieren die Akkus auf, leeren Sie die Speicherkarte und schärfen Sie Ihre Sinne. Die Kamera ist Ihr Werkzeug. Ihr Blick ist es, der dem Bild Bedeutung verleiht.
Die Stadt ist nicht nur die Straße
Während „Street“ im Namen nur an Straßen erinnert, spielt sich das wahre Leben auch anderswo ab. Interessante Momente finden Sie im Zug, im Wartezimmer, im Kaufhaus und im Museum. Kinder, die zwischen den Regalen herumrennen. Ein älteres Paar, das schweigend Händchen hält. Ein Junge, der in einer Galerie ein Bild malt und die ganze Welt um sich herum vergisst.

Achten Sie auf Gesten, Bewegungen, Anzeichen von Emotionen. Die Kraft liegt oft im Gewöhnlichen. In dem Moment, in dem jemand innehält, nachdenkt, gähnt, die Augen schließt, die Hand eines anderen nimmt. Das sind die kleinen Szenen, die die visuelle Poesie der Stadt bilden.
Manchmal lohnt es sich, stehen zu bleiben. Suchen Sie sich einen guten Platz – eine Bank, eine Treppe, eine Straßenecke – und warten Sie. Die Straße liefert Ihnen die Szene von selbst.

Kreativer Ansatz
Wenn Sie sich von der „korrekten“ Wiedergabe der Realität lösen, eröffnet sich Ihnen eine ganz neue Welt voller Möglichkeiten. Achten Sie auf Linien – Gehwege, Schienen, Lichter an der Wand. Beobachten Sie Rhythmen – sich wiederholende Säulen, Treppen, Wechsel von Licht und Schatten. Suchen Sie nach Ebenen – zum Beispiel, wenn sich die Reflexion im Glas mit dem Leben im Café und dem Geschehen auf der Straße vermischt.



Als ich das Spiel des Lichts auf der Plattform unter mir sah und bemerkte, dass sich eine Gruppe von Menschen näherte, blieb mir nichts anderes übrig, als zu warten. Sie sehen, dass von einer größeren Anzahl von Aufnahmen letztendlich nur eine einzige entstanden ist, in der alles stimmt: die Farben, das Licht und die Handlung in der Szene, in der sich die Frau zu dem Mann umdreht. f/1.8, 1/6400 s, ISO 250, 85 mm
Keine Angst vor Unschärfe. Bewusste Kamerabewegungen während der Belichtung, das sogenannte Intentional Camera Movement (ICM), können einem Foto Energie verleihen. Die Technik des Pannings, bei der Sie ein sich bewegendes Objekt verfolgen und den Hintergrund unscharf machen, bringt auch im normalen Stadtverkehr Dynamik ins Bild. Oder bewusste Unschärfe, wenn Sie sich auf Licht, Form oder Farbe konzentrieren und nicht auf Details.

Wie wäre es mit einem Selbstporträt? Street Photography ist der ideale Rahmen, um nicht nur andere, sondern auch sich selbst zu entdecken. In der Stadt gibt es tausend Möglichkeiten, sich selbst anders zu fotografieren: im Spiegelbild eines Schaufensters, als Schatten an einer Wand, als Silhouette in einer Tür.


Ich liebe es, mich in Spiegelungen wiederzufinden, wofür eine Stadt mit ihren vielen Schaufenstern oder Museen mit seltsamen Objekten der ideale Ort ist.

Und noch eine Idee: Wählen Sie ein Thema aus – zum Beispiel die Farbe Gelb, Fahrräder, Menschen mit Regenschirmen – und fotografieren Sie den ganzen Tag lang nur dieses Thema. Das hilft Ihnen, sich von der Überflutung zu befreien und Ihre Aufmerksamkeit in eine bestimmte Richtung zu lenken.
Was sagt das Gesetz?
In Deutschland regelt vor allem das Kunsturhebergesetz (KunstUrhG) den Umgang mit Fotos von Personen.
Grundsätzlich (§ 22 KunstUrhG) dürfen Bildnisse nur mit Einwilligung der abgebildeten Person veröffentlicht oder öffentlich zur Schau gestellt werden.
Eine Veröffentlichung ohne Einwilligung ist jedoch nach § 23 KunstUrhG erlaubt, wenn bestimmte Ausnahmen vorliegen – zum Beispiel:
- die Person ist Teil eines Bildnisses aus dem Bereich der Zeitgeschichte,
- sie erscheint nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Szenerie,
- das Foto zeigt eine öffentliche Versammlung, einen Aufzug oder ein ähnliches Ereignis,
- das Bild dient höheren künstlerischen Zwecken und verletzt nicht die berechtigten Interessen der abgebildeten Person.
Auch in diesen Fällen muss die Veröffentlichung angemessen sein, darf also nicht entwürdigend wirken, keine Intimsphäre verletzen und nicht gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht verstoßen.
Wenn Sie Zweifel haben, fragen Sie vorher nach.
Und wenn eine Person Sie bittet, ein Foto zu löschen, sollten Sie diesem Wunsch in der Regel nachkommen – besonders dann, wenn ihre berechtigten Interessen betroffen sind.
Bei der Street Photography geht es nicht darum, Menschen „auf frischer Tat zu ertappen“. Es geht um die Beziehung zur Stadt, zum Alltag – und zu denen, die ihn leben.
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