Mehr Objektive im Handy: Was Sie davon erwarten können und was diese nicht bewältigen
Die Handy-Fotografie boomt. Die Hersteller kommen immer wieder mit neuen Tricks und Technologien, von denen die Besitzer klassischer Fotokameras nur träumen können. Wie sieht’s aus mit gleich mehreren Objektiven auf einem Handy? Hört sich gut an, nicht wahr? Aber nicht alles ist so, wie es auf den ersten Blick scheint. Schauen wir uns die Vor- und Nachteile von Smartphones mit mehreren Objektiven an.
Im Text werde ich mich teilweise auf den vorherigen Artikel über die Grundlagen der Optik beziehen. Darin habe ich unter anderem die technologische Entwicklung in der Erhöhung des Dynamikumfangs erwähnt, der künftig praktisch ohne Grenzen sein wird. Der Fortschritt in der Handy-Fotografie findet aber auch bei den Objektiven statt. Die Hersteller von Smartphones wetteifern jetzt darin, wer von ihnen mehr auf dem Handy platziert.
Jeder Hersteller hat diese Idee individuell umgesetzt und verwendet die hinzugefügte Optik auf eine andere Art und Weise. Die Objektive können somit für folgende Zwecke oder deren Kombinationen verwendet werden:
- Erfassen von mehr Licht – einfachere Aufnahmen bei Dämmerung
- Änderung des Aufnahmewinkels – Weitwinkel oder Teleobjektiv
- Erfassen der Szenentiefe – hauptsächlich fürs Weichzeichnen je nach Entfernung verwendet
Und wahrscheinlich werden wir in Zukunft auf andere Nutzungsarten treffen, von denen wir bisher keine Ahnung haben.
Das Problem mit den Parametern
Jedes Objektiv im Handy hat unter sich einen separaten Sensor. Das macht noch Sinn. Verwirrend ist aber die Tatsache, dass jeder Sensor unterschiedlich groß ist. Ein einziges Handy kann problemlos über drei unterschiedlich große Sensoren verfügen.
Und weil alle wichtigen Werte wie Lichtstärke und ISO-Empfindlichkeit im Verhältnis zur Größe des Sensors angegeben sind, ist es schwierig, sie ohne eine Umrechnung anzuwenden. Bei Angabe der Lichtstärke bedeutet es dann, dass jeder Wert immer etwas anderes anzeigt und sie nicht miteinander vergleichbar sind.
Bei Handy-Teleobjektiven ist das Problem mit den Parametern besonders markant und auf den ersten Blick nicht erkennbar. In der Flut von Zahlen entgeht einem nämlich schnell, dass für eine längere Brennweite ein kleinerer Sensor verwendet wird, so dass das Bild aus dem Teleobjektiv einem einfachen Ausschnitt aus der Hauptkamera ähnelt. Dies ist natürlich in Bezug auf die Vermarktung nicht so interessant.
Die Umrechnung der Parameter
Schauen wir uns das mal näher an. Ich habe die Parameter der Objektive auf einen gemeinsamen Nenner umgerechnet, was der traditionelle Vollformat-Sensor ist. Dies ist keine einfache Aufgabe, da die Hersteller bemüht sind, dies zu verschleiern. Also habe ich meistens Herstellerangaben, Beschreibungen in Bewertungen, Flickr (wo Fotos mit EXIF sind) und Wikipedia (wo die Größe der Sensoren und die dazugehörigen Cropfaktoren angeführt sind) durchforstet.
Ich habe die aktuell besten Modelle der größten Hersteller ausgewählt und nur die hinteren Kameras verglichen. Objektive für Selfies habe ich dieses Mal ignoriert.
Die Hersteller bekamen auch eine Bewertung basierend darauf, wie schwierig es war, die richtigen Parameter zu finden.
Ich erinnere daran, dass es „nur“ um einen Vergleich der Spezifikationen von Objektiven und Sensoren geht. Der Prozessor kann dann ein ganz anderes Bild zaubern, als was den Zahlen entsprechen würde. Dennoch ist diese Umrechnung gut, um zu erkennen, mit welcher Eingabe die Algorithmen arbeiten müssen.
Generell kommt bei allen Herstellern die Standard-Brennweite am besten weg, über die die Handys schon seit Jahren verfügen. Bei Aufnahmen mit der Standardeinstellung der Empfindlichkeit, was bei Handys in der Regel um ISO 50 ist, werden die Fotos sehr ähnlich wie bei einer Vollformat-Kamera mit einem Objektiv von 26 mm, einer Blende von f / 10 und ISO 1 600.
Manchmal ist auch ein Ultra-Weitwinkelobjektiv vorhanden, das im Vollformat etwa der Aufnahme mit einem 16 mm-Objektiv mit einer Blende von f / 14 und ISO 2 000 entspricht. Dies ist sicherlich eine willkommene Ergänzung, da sich die Ultra-Weitwinkelaufnahmen nur schlecht mit einem Standardobjektiv machen lassen – Panoramen sind nicht allmächtig.
Wenn Sie stattdessen ein Teleobjektiv verwenden, entsteht ein Bild, das äquivalent zur Brennweite von 50 mm im Vollformat mit einer Blende von f / 20 ist. Das Bildrauschen entspricht bei Full Frame etwa einem Wert von ISO 3 600. Wenn ich mich erneut auf den früheren Artikel über die Grundlagen der Optik beziehe, bedeutet das, dass wir wegen dem Zoomen kleinere Szenenausschnitte fotografieren. Die Fotokamera hat etwa um drei Viertel weniger Licht, aber es wurde nicht durch eine Vergrößerung der Eintrittsöffnung des Objektivs kompensiert, wie es bei größeren Kameras der Fall ist. Die Öffnung bei den Handys ist gleich geblieben oder nur ein kleines bisschen besser.
Das Teleobjektiv fängt so praktisch das gleiche Bild ein wie der Ausschnitt aus einem Standardobjektiv, nur mit einer anderen Auflösung!
Dies ist schwierig zu testen, weil Handys es oft nicht erlauben, ein Bild durch ein konkretes Objektiv mit einer bestimmten Einstellung und auch noch im RAW-Format zu machen. Stattdessen wählen sie selbst aus, wie sie das Bild erfassen und welches oder welche Objektive sie verwenden. Manchmal ignorieren sie das Teleobjektiv und beim Zoom präferieren sie den Ausschnitt aus einer größeren Brennweite.
So viel wie möglich Licht sammeln
Handys geben aber nicht so leicht auf. Neben Software-Tricks gibt es auch reale Möglichkeiten, wie man so viele Photonen wie möglich erfassen und dadurch das Bildrauschen reduzieren kann.
Der grundlegende Ansatz ist es, die Belichtungszeit zu verlängern oder mehrere Aufnahmen zu kombinieren, die direkt hintereinander gemacht wurden (oft ohne Wissen des Fotografen). Einige Handys haben ein stabilisiertes Objektiv, was in diesen Fällen sicherlich hilfreich ist. Es reduziert das Bildrauschen, das dann niedrigeren ISO-Werten als im vorigen Kapitel entspricht.
Die zweite Option ist, Bilder aus mehreren Objektiven zu kombinieren. Jeder fängt einen Teil des von der Szene reflektierten Lichts ein und gemeinsam erhöhen sie effektiv ihre Gesamtlichtstärke. Es können Ausschnitte aus den Objektiven verschiedener Brennweiten kombiniert oder ein Bild aus Objektiven mit dem gleichen Aufnahmewinkel zusammengefügt werden.
Gerade fünf identische Objektive nutzt die kommende Nokia 9, die noch über ein weiteres technologisches „Plus“ verfügt. Zwei der Objektive haben unter sich einen Standard-RGB-Sensor, aber die drei weiteren Objektive werden nur durch monochrome BW-Sensoren (BW – Black & White) bedient.
Auch wenn es nicht so scheint, schwarzweiß ist ein Vorteil. Farbsensoren haben einen sog. Bayer-Filter vor sich, was bedeutet, dass zum Beispiel bei roten Subpixeln der Filter die Photonen mit einer anderen Farbe entfernt. Wir verlieren so wahrscheinlich etwa 40-50 % des Lichts. Wenn es nicht nötig ist, die Farben zu unterscheiden, und es genügt, die Lichtintensität zu erfassen, wird der Bayer-Filter nicht verwendet und das Ergebnis ist mehr eingefangenes Licht und somit weniger Bildrauschen.
Die Farben werden dann von anderen Sensoren ergänzt, sie sind nur leicht ungenau. Das Nokia 9 ist mit dem Schwarz-Weiß-Sensor nicht das einzige, sondern diesen haben auch andere Handys und sogar auch einige Fotokameras der höheren Kategorie wie die Leica M Monochrom (die natürlich keine Farben ergänzen kann und rein schwarzweiß fotografiert).
Wenn wir also vereinfacht annehmen, dass ein BW-Sensor 2x mehr Licht als ein RGB-Sensor erfasst, dann fängt das Nokia 9 mit fünf Objektiven insgesamt 8-mal mehr Licht als ein einzelnes Objektiv ein. Es wird also um etwa 3 EV-Stufen besser sein. Anstatt einer Lichtstärke der Full-Frame-Einstellung irgendwo um f / 12 zu entsprechen (schätze ich, das Handy ist noch nicht auf dem Markt), reduziert sie sich auf etwa f / 4, und das ist schon eine signifikante Veränderung.
Mehr Objektive für die Tiefenschärfe
Zahlreiche Smartphones verwenden heute bereits mehrere Objektive, um die gegenseitige Verschiebung der Bilder in den einzelnen Pixeln zu ermitteln und daraus die Tiefe zu berechnen. Manchmal sind auch spezielle Tiefenkameras zugegen. Die gesammelten Informationen nutzt das Handy in erster Linie für das Weichzeichnen des Hintergrunds per Software.
Aber Tiefe kann auch für die 3D-Vorschau der aufgezeichneten Bilder verwendet werden, dies unterstützt übrigens auch Facebook.
Die Tiefe kann auch aus einem einzelnen 2D-Bild ohne die Verwendung mehrerer Objektive abgeschätzt werden, aber mit diesen sollten die Ergebnisse in komplizierten Situationen zuverlässiger sein.
Periskop-Objektiv
Die zunehmende Anzahl von Objektiven und schnellere Prozessoren für die Verarbeitung der gewonnenen Daten ermöglichen sicherlich neue Tricks. Aber das alles ist nicht nur rosarot.
Der Hersteller Oppo hat die Fertigstellung des „Periskop-“ Teleobjektivs bekannt gegeben, das eine Brennweite von bis zu 160 mm umgerechnet auf Full-Frame erreichen kann. Das ist zwar schön, aber den Bildern nach sieht es aus, dass auf der Oberfläche Linsen mit einer ähnlichen Öffnung auslaufen, wie sie ein Standardobjektiv hat.
Dies bedeutet, dass sich der Aufnahmewinkel begrenzt, aber es kommt wieder nicht zu einer signifikanten Kompensation durch Vergrößerung der Eingangsöffnung (wie es auch nicht mit dem Aufkommen der 50-mm-Objektive passierte), und wir können eine Lichtstärke erwarten, die äquivalent geschätzt irgendwo zwischen f / 40 – f / 60 bei Full-Frame liegt. Aber eine f / 45-Blende hat umgerechnet auch die Nikon P1000 und den Bewertungen nach, macht es damit draußen Spaß, also kann man bei gutem Licht auch ein Handy-Teleobjektiv verwenden.
Was wird uns die Zukunft bringen?
Ein Set aus mehreren Objektiven macht oft nach den Parametern keinen großen Sinn. Aber ihre Verwendung zum Beispiel beim Weichzeichnen per Software ist für gängige Situationen möglich und für das Teilen in sozialen Netzen absolut ausreichend. Es ist allerdings eher die Arbeit der Algorithmen im Inneren des Handys, als das die Objektive selbst dafür verantwortlich wären.
In Zukunft erwarte ich eine noch bessere Tiefenerfassung und einen besseren Umgang mit dieser. Zum Beispiel beim Drehen eines Videos auf einer Straße im Gehen kann nur die Gestalt Ihres Freundes erhalten bleiben und der Hintergrund wird automatisch ausgetauscht. Genauso kann die Beleuchtung der gesamten Szene abgeändert werden. Dies ist im Allgemeinen kompliziert, aber vielleicht könnte das wenigstens in spezifischen Fällen Realität werden.
Einige Softwares unterstützen auch schon die Bearbeitung unter Ausnutzung der Tiefe. So ist es zum Beispiel einfach den Himmel abzudunkeln und umliegende Gebäude bei der Bearbeitung auszugrenzen. Wir sollten kein perfektes Ergebnis erwarten, aber auch hier gilt – für soziale Netzwerke handelt es sich um eine völlig ausreichende Operation.
Dank der Stabilisierung der Objektive und verbesserten Technologien der Sensoren erwarte ich auch einen sehr hohen Dynamikumfang bei stationären Szenen, in denen es nicht schwierig ist, nach und nach viel Licht zu sammeln. Überhellte Bereiche verschwinden und die Farbübergänge werden weicher. Diesbezüglich wird es in Zukunft keinen Unterschied zwischen einem Handy und der teuersten Profi-Kamera geben.
Sich schnell bewegende Objekte oder Fotografieren bei schlechten Lichtverhältnissen bleibt wahrscheinlich nach wie vor eine Herausforderung,
Insgesamt werden Handys technologisch immer höher aufsteigen und die Software wird ihnen dabei mächtig helfen. Fotokameras und insbesondere Objektive der höheren Klassen werden nur für diejenigen sein, die eine höchstmögliche Qualität unter allen Bedingungen erzielen wollen. Aber für die überwiegende Mehrheit der Menschen und Situationen wird ein Smartphone ausreichen.
Danksagung
Am Ende würde ich gern den Menschen danken, die ich wegen diesem Artikel mit Handy-Experimenten belästigt habe. Dies betrifft Jiří Dostál, Zdena Klímová, Verunka Ruda, Libor Foltýnek und Richard Schneider. Nochmals Danke!