Interview: Jana Kupčáková – Ich suche gerne im wilden städtischen „Dschungel“ nach Ästhetik

Interview Jana Kupčáková - Ich suche gerne im wilden städtischen Dschungel nach Ästhetik

Die Fotografien von Jana Kupčáková werden regelmäßig in Ausstellungen und auf Festivals in der ganzen Welt gezeigt, unter anderem in New York und Paris. Sie konzentriert sich auf humanistische Themen, insbesondere auf die Straßenfotografie. Ihre Fotografien fangen ganz alltägliche Geschichten aus dem täglichen Leben und die kleinen Dinge, die uns umgeben, ein. 

Ihre Arbeiten wurden u. a. in Women Street Photographers, im Photographize Annual Book und in 100 Best selected 2021 veröffentlicht. In unserem ersten Interview sprachen wir über Reisen und haben von Jana einige Tipps für bessere Reisefotografie erhalten. Dieses Mal haben wir sie zum Thema Straßenfotografie befragt. 

Interview Jana Kupčáková

Jana, Sie beschäftigen sich hauptsächlich mit der Straßenfotografie. Warum ausgerechnet dieses Thema? Was reizt Sie daran am meisten?

Mit einem Wort: „Authentizität“. Schon in der Schule hat mich die humanistische Fotografie am meisten angesprochen. Ich war immer begeistert von der Leichtigkeit, mit der Nachkriegsfotografen Szenen aus dem Alltag einfangen und die Zeit, in der sie lebten, dokumentieren konnten. Das hat mich buchstäblich fasziniert. Es waren Fotos, die die Seele streichelten. Natürlich hat es viele Jahre und Erfahrungen gebraucht, bis ich mich an etwas Ähnliches herangewagt habe, aber egal in welches fotografische Genre ich hineingeschnuppert habe, meine Liebe zur Straßenfotografie ist geblieben. Und je künstlicher unsere Welt heute ist, desto stärker ist diese Liebe 😊.

In den meisten Ihrer Straßenfotografien sind die Farben, die mit der Umgebung kontrastieren, sehr auffällig. Hat das eine tiefere Bedeutung, eine Botschaft?

Ich würde gerne sagen, dass es eine tiefe Bedeutung hat, aber ich fürchte, es ist nichts weiter als meine Wahrnehmung. Ich denke, meine Arbeit spiegelt viel von meiner optimistischen Natur wider, die mich die Welt in helleren Farben und in einem besseren Licht sehen lässt, und auch meinen starken Sinn für Ästhetik.

Interview Jana Kupčáková

Ihre Fotos sind auch von der Komposition her sehr interessant. Halten Sie sich streng an irgendwelche Kompositionsregeln oder ist die Komposition eine Frage des Gefühls?

Für mich ist es vor allem eine Frage des Gefühls. Auch wenn meine Anfänge nicht gerade glorreich waren, erinnere ich mich daran, dass ich immer intuitiv mit Komposition umgegangen bin. Als ich meinen ersten Kompositionskurs belegte, stellte ich fest, dass ich die meisten Regeln, die besprochen wurden, unbewusst befolgte, ohne vorher davon gehört zu haben. Natürlich wird auch dieses Gefühl mit der Zeit geschärft und verfeinert.

Mit der Komposition hängt auch meine nächste Frage zusammen. Mir ist aufgefallen, dass viele Ihrer Fotos symmetrische Linien enthalten. Das sieht sehr präzise aus, fast schon technisch. Welche Beziehung haben Sie zur Geometrie/Symmetrie?
Geometrie war definitiv nicht meine Stärke oder mein Lieblingsthema in der Schule. Ich bin überhaupt nicht der technische Typ, und es ist eigentlich witzig, dass meine Fotos diesen Eindruck vermitteln. Aber es stimmt, dass ich kein Chaos in der Fotografie mag. Die Welt auf der Straße ist schon chaotisch genug, und bei jedem Spaziergang durch die Stadt sind wir von einer Vielzahl von Eindrücken und Motiven umgeben, die für viele Menschen ablenkend wirken können. Und es macht mir Spaß, in diesem wilden städtischen „Dschungel“ nach der bereits erwähnten Ästhetik zu suchen, nach den verschiedenen Mikrogeschichten, nach den kleinen Dingen, die man leicht übersieht. Ich versuche, die Welt für den Betrachter in gewisser Weise zu vereinfachen und lesbar zu machen. Vielleicht fangen auch sie dann an, die kleinen schönen Dinge um uns herum zu bemerken, von denen es so viele gibt. 

Interview Jana Kupčáková

Einige der Fotografien wirken beinahe minimalistisch. Halten Sie sich selbst für eine Minimalistin? Und liegt Ihnen der Minimalismus in der Fotografie besonders am Herzen? 

Ich betrachte mich sicher nicht als pure Minimalistin, aber es stimmt, dass mir der Minimalismus in der Fotografie sehr am Herzen liegt. Ich fotografiere eigentlich nur das, was mir an einem bestimmten Ort auffällt, ohne an ein bestimmtes Genre oder eine bestimmte Art der Darstellung zu denken. Manchmal sind es die Geschichten und Ausdrücke, die mir ins Auge stechen, manchmal ist es einfach das interessante Licht oder die Farben, das hängt ganz von dem Ort und der Situation ab.

Es stimmt, dass sich in vielen Ländern die kulturellen Traditionen und Wurzeln der Menschen in ihnen widerspiegeln. Und dann ist es natürlich viel einfacher, diese typischen Szenen zu fotografieren, besonders wenn sie mir nahe liegen. So entgeht mir kein Großvater mit Hut, der in einer engen italienischen Gasse eine Tasse Espresso schlürft und eine Zeitung liest 😊. In der Tschechischen Republik funktioniert dies meiner Meinung nach jedoch nicht, und vielleicht tendiere ich deshalb bei meinen Streifzügen durch Prag eher zu künstlerischer Fotografie und vielleicht sogar zu dem bereits erwähnten Minimalismus. 

„Ich möchte, dass meine Fotos Geschichten erzählen, Erinnerungen bewahren und das Leben widerspiegeln, wie ich es wahrnehme.“

Entstehen Ihre Fotos eher spontan oder sagen Sie zu sich selbst: ‚Hier sind interessante Linien, jetzt noch ein paar Passanten‘ und warten dann darauf, dass eine Person an dieser Stelle vorbeigeht?

Es steht ungefähr 80:20 😊. Die meisten meiner Fotos entstehen buchstäblich „im Flug“, als Schnappschüsse, die ich im Gehen mache. Sie werden oft sehr schnell und ohne viel Nachdenken aufgenommen, es ist eher eine instinktive Sache. Doch manchmal kommt es vor, dass ich eine interessante Lichtszene, einen interessanten Ort sehe, und wenn ich die Zeit und Lust habe, dann warte ich gerne auf das Foto. Diese Arbeitsweise praktiziere ich wahrscheinlich am häufigsten in Workshops, wo man nicht die ganze Zeit mit den Studenten herumrennen kann, in der Hoffnung, dass man einfach über eine fotogene Situation stolpert und alle es noch rechtzeitig schaffen, sie zu registrieren, das kann durchaus ein Bonus sein. Beim Unterrichten brauche ich Zeit, um zu erklären, zu demonstrieren, allen Schülern Raum zu geben, um eine bestimmte Aufnahme auszuprobieren, und dann ist das „Lauern“ auf ein Foto an einem bestimmten Ort für mich die bequemste und praktischste Art des Unterrichtens und für die Schüler viel angenehmer.  

Interview Jana Kupčáková

Stellen Sie Menschen aus einem bestimmten Grund als Silhouetten dar, zum Beispiel, um einen gewissen Eindruck von Anonymität zu vermitteln, oder aus rein ästhetischen Gründen? 

Ich denke, es ist beides, abhängig von der jeweiligen Situation. Für mich ist die Person ein wichtiges Element in der Szene, sie trägt zur Geschichte bei, ohne die das Foto für mich nicht die richtige Tiefe hat. Und jede dieser Geschichten erfordert eine andere Herangehensweise, eine andere Art zu arbeiten. Sicherlich spielt dabei auch die Ästhetik eine Rolle. Neben der Fotografie male ich auch gerne, und ich denke, dieser Aspekt meiner kreativen Natur spiegelt sich auch in meiner Fotografie wider. Ich sehe einfach überall Bilder 😊.

Viele Ihrer Straßenfotos stammen aus verschiedenen Ecken der Welt. Gibt es einen Ort, den Sie gerne mal besuchen würden? Welcher Ort reizt Sie aus der Sicht eines Straßenfotografen am meisten? 

Normalerweise denke ich nicht auf diese Weise über neue Reiseziele nach. Wenn ich in ein Land reise, dann hauptsächlich, um es zu entdecken, und die Fotografie ist mehr oder weniger eine Nebenbeschäftigung. Zum Fotografieren fahre ich nur dorthin, wo ich mich schon gut auskenne, wo es mich nicht so sehr reizt, die Gegend zu bereisen, und wo ich mich ganz der Fotografie widmen kann. Ich habe also kein Traumziel, an das ich eines Tages zum Fotografieren fahren möchte. Ich liebe es aber, zu diesem Zweck in alte italienische Städte zurückzukehren, und würde gerne eines Tages wieder nach New York fahren. Diesmal werde ich die Museen und Denkmäler auslassen und mich auf ein einziges Ziel konzentrieren 😊. 

Interview Jana Kupčáková

Sind Sie während Ihrer Aufnahmen jemals auf Probleme gestoßen? War es zum Beispiel jemandem unangenehm, dass Sie ihn auf der Straße fotografiert haben, oder haben Sie üblicherweise eine Erlaubnis? 

Ich bin bisher auf keine Probleme gestoßen, zumindest nicht auf solche, die mir im Gedächtnis bleiben würden. Im Gegenteil, die Reaktionen der Leute sind meist positiv, wenn sie die Aufnahme überhaupt registrieren. Meistens versuche ich aber das Gegenteil zu erreichen, denn mir geht es darum, einen authentischen Moment einzufangen, und der würde natürlich verloren gehen, wenn ich vor der Aufnahme um Erlaubnis fragen würde. 

Kommen wir nun zu einem etwas technischeren Thema. Welche Objektive verwenden Sie und warum? Haben Sie eine Lieblingsmarke? 

Wenn es um Straßenfotografie geht, fotografiere ich hauptsächlich mit Festbrennweiten und lichtstarken Objektiven. Viele Jahre lang habe ich mit einem 50-mm-Objektiv fotografiert, dann bin ich für eine Weile zum 35-mm-Objektiv gewechselt, und jetzt, da Nikon ein neues, leichtes 40-mm- und f2-Objektiv auf den Markt gebracht hat, habe ich es mir zugelegt. Für mich ist die Handlichkeit sehr wichtig, um leicht zu reisen und zu fotografieren. Das Festbrennweiten-Objektiv ermöglicht es mir, die Welt auf eine bestimmte Weise zu sehen, ohne beim Zoomen durch andere Brennpunkte abgelenkt zu werden.

Welchen Rat würden Sie unseren Lesern geben, die mit der Straßenfotografie beginnen möchten?

Sie sollten sich zunächst genau überlegen, was sie an dieser Art von Fotografie reizt und warum. Ich denke, man sollte in seiner Praxis und auf seinem Weg, wenn es um die Fotografie geht, von allem ein bisschen ausprobieren und Erfahrungen in allen möglichen Genres sammeln, aber am Ende sollte man bei dem bleiben, was einem am meisten gefällt und anspricht. Solange man die Dinge mit Liebe und Freude tut und sie als erfüllend empfindet, ist alles möglich, egal wie lang der Weg zu diesem Ziel sein mag.  

Jana Kupčáková

Jana Kupčáková studierte Wirtschaft an der Tschechischen Agraruniversität in Prag. Die Fotografie war zunächst nur ein Hobby, wurde jedoch zu einem festen Bestandteil ihres Lebens. Jana Kupčáková betrachtet die Welt auf eine positive Art und Weise, was sich auch in ihrer Arbeit widerspiegelt. Sie konzentriert sich hauptsächlich auf humanistische Themen. Sie fängt Momente aus dem Alltag in Form von Straßenfotografie ein. Dabei versucht sie stets, die Einzigartigkeit und Authentizität des jeweiligen Moments zu erfassen.

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