6 Gründe, warum Sie kein lichtstarkes Objektiv brauchen

Als ich mit dem Fotografieren anfing, hatte ich einen Fotorucksack voller Festobjektive – natürlich mit der höchstmöglichen Lichtstärke. Damals versicherte mir jeder, dass ich unbedingt lichtstarke Objektive brauche. Die Gründe dafür waren vielfältig: höhere technische Qualität, schnellere Fokussierung und vor allem das wunderschöne Bokeh – der sagenhafte Unschärfeeffekt im Hintergrund. Wie sehe ich das heute?
Das Streben nach der niedrigsten Blende ist bei weitem nicht so wichtig, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Anstatt blind auf die Technik zu vertrauen, lohnt es sich, sich auf die Komposition, die Geschichte und die Arbeit mit dem Licht zu konzentrieren. Hier sind sechs Gründe, warum Sie in der alltäglichen Fotografie oft mit einem weniger lichtstarken Objektiv auskommen – und warum Sie dadurch vielleicht sogar noch besser werden.
Ein lichtstarkes Objektiv ist ein Objektiv mit einer niedrigen Blendenzahl – in der Regel F2,8, F1,8 oder F1,4. Dadurch lässt es mehr Licht auf den Bildsensor der Kamera fallen, sodass auch bei schlechten Lichtverhältnissen ohne Erhöhung der ISO-Empfindlichkeit oder Verwendung längerer Belichtungszeiten fotografiert werden kann. Lichtstarke Objektive ermöglichen auch eine geringe Schärfentiefe, also einen stark unscharfen Hintergrund (sogenanntes Bokeh), der besonders in der Porträtfotografie beliebt ist. Mehr über die Parameter von Objektiven erfahren Sie im Artikel Was bedeuten die ganzen Abkürzungen auf den Objektiven?.
Komposition statt unscharfem Hintergrund
Lernen Sie, Bildkompositionen zu erstellen und mit der Umgebung, in der Sie fotografieren, zu arbeiten. Nur sehr wenige ikonische Fotos in der Geschichte wurden mit extrem geringer Schärfentiefe aufgenommen. Die Autoren bekannter Aufnahmen beziehen oft bewusst die Umgebung mit ein, um die Gesamtatmosphäre zu vervollständigen – und das genreübergreifend.
In der Reportage-, Sport- oder Dokumentarfotografie wird manchmal zwar eine niedrige Blende verwendet, jedoch meist nur bei ergänzenden Detailaufnahmen. Die Hauptfotos haben in der Regel eine größere Schärfentiefe, um die Geschichte im Kontext zu erzählen.



Moderne Kameras fokussieren auch ohne lichtstarke Objektive gut
Das Fokussieren bei schlechten Lichtverhältnissen ist heute kein so großes Problem mehr wie früher. Spiegelreflexkameras mit fortschrittlicher Fokussierung kommen auch dort zurecht, wo ältere Technik versagen würde.
Wenn Sie also den Kauf eines lichtstarken Objektivs nur wegen der besseren Schärfe in Betracht ziehen, ist es vielleicht sinnvoller, in ein neueres Gehäuse zu investieren.
Bokeh allein reicht nicht: Warum ein unscharfer Hintergrund nicht das Ziel ist
Der Kauf eines teuren Objektivs nur wegen eines „schöneren Bokehs“ macht Sie nicht zu einem besseren Fotografen. In Foren wird Ihnen vielleicht das Gegenteil behauptet, aber eine gute Fotografie besteht nicht nur aus einem unscharfen Hintergrund.
Ein gutes Foto hat eine Geschichte, einen starken Moment, Atmosphäre – und oft unterstreicht die Umgebung dies noch zusätzlich. Ohne diese Elemente kann eine geringe Schärfentiefe nur als Alibi für eine schwache Komposition wirken.

Mythos: Je niedriger die Blende, desto besser das Foto
Genau das sagen Ihnen die Verkäufer. Natürlich wollen sie verkaufen – idealerweise mehr Objektive, mehr „Notwendigkeiten“. Aber erfahrene Fotografen kommen oft mit einem hochwertigen Basiszoom aus.
Heutige Zoomobjektive (z. B. 24–70 mm mit einer Lichtstärke von F4) sind so hochwertig, dass Sie den Unterschied zu einem Festobjektiv vielleicht nur bei Großformatdrucken erkennen – und die macht kaum jemand. Die meisten Fotos landen im Internet oder in sozialen Netzwerken, wo der Unterschied zwischen einer Blende von 1,4 und 4,0 praktisch nicht zu sehen ist.
Technische Qualität ist nicht alles
Wenn Sie kein bestimmtes Genre fotografieren, bei dem die technische Seite entscheidend ist (z. B. Architektur oder Werbung), ist technische Perfektion keine Priorität. Auch wenn Ihnen in Foren das Gegenteil behauptet wird, sind die Geschichte und der Inhalt des Fotos wichtiger.

Das Paradox der Perfektion: Wenn hohe Lichtstärke nicht ausreicht
Viele Fotografen glauben, dass ein Porträt mit natürlichem Licht und einem 85-mm-Objektiv bei Blende 1,4 automatisch perfekt ist. Die Realität? Oft handelt es sich um ein ansprechendes, aber inhaltlich leeres Bild. Davon gibt es in den sozialen Netzwerken jede Menge.
Und wenn Sie ein technisch hochpräzises Foto wünschen, werden Sie wahrscheinlich eine Blende von F16 oder F25, ein Stativ und idealerweise auch künstliches Licht verwenden – denn auf natürliches Licht kann man sich in solchen Fällen nicht wirklich verlassen.

Fazit
Heutige Kameras fokussieren auch mit weniger lichtstarken Objektiven problemlos. Man muss nicht unbedingt das Neueste und Teuerste auf dem Markt haben. Mit einem ordentlichen Zoomobjektiv von 24–70 mm F4 deckt man technisch gesehen 90 % aller gängigen Situationen ab. Wie das Ergebnis aussieht, hängt dann nur noch von Ihnen ab – nicht von der Blende.
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